Stadtgeschichte
Stadtgeschichte
Kleine Stadt – große (Früh)-Geschichte
Bereits im 10. Jahrhundert - zu einer Zeit also, zu der manche der heutigen Metropolen nur Brachland mit Lagerfeuer zu bieten hatten - begrüßte man in Gandersheim deutsche Könige und Kaiser. Denn mit der Gründung des Kanonissenstifts durch Herzog Ludolf und seine Gemahlin Oda im Jahre 852 waren früh glanzvolle Zeiten angebrochen.
Reichsfrei, das heißt nur Papst und Kaiser verpflichtet, entwickelte sich das Stift zu einem religiös wie politisch bedeutenden Zentrum. Dort lebten Kanonissen, zumeist adelige Damen, nach kirchlicher Verfassung, aber mit durchaus weltlichen Befugnissen; wie Landesfürsten herrschten sie über Volk und dienstpflichtige Ritter. Es entstanden entsprechend repräsentative Abteigebäude, bewohnt von einem ganzen Hofstaat aus Hofdamen, Geistlichen und Bediensteten.
Im Jahre 990 erhielt das Stift durch Kaiserin Theophanu das Markt-, Münz- und Zollrecht, die Grundlage zur Entwicklung der Stadt Bad Gandersheim. Seinen kulturellen Zenit erreichte Gandersheim im Barock, unter der Äbtissin Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen, die von 1713 bis 1766 hier Hof hielt. Sie ließ den Barockflügel der Abtei erbauen, dessen festlicher Kaisersaal mit Gemälden, Fresken und Wappen ein sehenswertes Beispiel für das Kunstverständnis dieser Epoche ist - eines der zahlreichen beeindruckenden Zeugnisse großer Vergangenheit in Bad Gandersheim.
Bis zu seiner Auflösung im Jahre 1810 prägte das Stift Gandersheim Stadt und Region. Bis heute prägt die lange und bedeutende Geschichte des Stiftes, seine Bauwerke und Kunstschätze, seine „Geburtsstätte“, das frühere Kloster natürlich die Frauen, die hier lebten, studierten und manchmal auch Geschichte schrieben - von Roswitha von Gandersheim über Kaiserin Theophanu bis zu Äbtissinnen der Barockzeit. Die wurzelt das große kulturelle Erbe der Stadt, das einst mit den Geschlecht der „Liudolfinger“ und dessen Aufstieg zur Kaiser- und Königstum seinen Anfang fand.
Die „Luidolfinger“
Die Luidolfinger sind das einzige nord- und ostdeutsche Geschlecht, das es je zu deutscher Königswürde und Kaiserschaft gebracht hat. Sie kommen aus der Mark Gandersheim und bilden die Grundlagen für deutsches Königs- und Kaisertum. Ihre Stammtafel von 1237 befindet sich im St. Pantaleon, Köln, der Grabeskirche Theophanus.
Die große Byzantinerin, die als Witwe Ottos II als erste Frau allein als Kaiserin das später so genannte „Heilige römische Reich deutscher Nation“ regiert, gebiert im Stift Gandersheim eine Tochter, gibt eine weitere zur Erziehung in das vorbildliche Stift, das Familienstift der Liudolfinger, mit dessen Errichtung ihr kultureller Aufstieg beginnt.
Theophanus kostbare Heiratsurkunde wird bis zur Auflösung des Stiftes, 1810, in ihrem Lieblingsstift aufbewahrt. Ihre Töchter Adelheid und Sophia werden Äbtissinnen von Gandersheim. Sophia muss allerdings nach Sachsen zurückgerufen werden, da sie als Beraterin ihren entschieden jüngeren Bruder Otto III lange begleitet, unter anderem zu seiner Krönung nach Rom.
Seine Söhne, der früh verstorbene Brun und Otto, der Erlauchte, verteidigen Ostfranken als Führer des sächsischen Kontingentes in der Schlacht bei Andernach gegen die Westfranken, auch gegen die ständig anstürmenden Elbslawen und Nordmänner.
Otto, dem Erlauchten wird als erstem Angehörigen eines germanischen Stammes die ostfränkische (deutsche) Königswürde angeboten, die er jedoch aufgrund seines hohen Alters ablehnt. Ein Jahr nach dem Königsruf verstirbt er. Er liegt mit seiner Gattin Hedwig unter der Gandersheimer Stiftskirche begraben.
Ihr Sohn Heinrich, der die Vogeljagd liebt, wird als erster Deutscher zum König gewählt und dessen Sohn Otto I („der Große“) bringt es sogar bis zum ersten Deutschen Kaiser. Sein Sohn Otto II heiratet die byzantinische Prinzessin Theophanu. In der nachfolgenden Generation soll auch Otto III die Prinzessin von Byzanz heiraten, doch er verstirbt zuvor kinderlos und viel zu jung an Jahren. Sein Tod läutet das viel zu frühe Ende der Herrschaft der Liudolfinger über Deutschland ein.
Die erste festgehaltene große kulturelle Leistung der Liudolfinger ist die Gründung des Stiftes Gandersheim durch Liudolf und Oda. Schon Liudolfs Großvater, Liudolf der Ältere, hat 783 Land in Brunshausen, Ortsteil Bad Gandersheims, ein Missionskloster erichtet. Die Heirat des späteren Liudolfs, dux saxoniae, mit Oda aus Westfalen, dem Teil Sachsens, der von den Franken erobert worden ist, ist eine große Leistung, denn der sächsische „Underdog“ heiratet in eine der mächtigsten Familien Frankens, die Familie Billung, ein.
Liudolf, dux saxoniae - muss eine erhebliche Ausstrahlung, Weisheit und Macht gehabt haben, denn sonst wäre eine solche Verbindung nicht möglich, obwohl er sich unter den fränkischen Ludwig-Königen militärische Sporen verdient und auch Titel bekommt. Das Bild von Herzog Liudolf entspricht aber nicht dem, das man sich von einem Herzog heute macht – mit Schloss und Pomp. Liudolf ist dux, Herzog, Sippen-, Geschlechts-, Stammes und Heerführer, natürlich auch mit Machtbefugnissen, weil er als Kampfführer vor dem Heer herzog.
Eigentlich verdient Liudolf den Titel. „Sachsenvater", denn er ist der entscheidende Geschlechtsgründer - ein Mann, dem die deutsche Geschichte unendlich viel verdankt. Er führt zwei Kulturen zusammen, Sachsen und Franken, und schafft die Bedingungen für die erste deutsche Königs- und Kaiserwürde.
846/847 reisen Liudolf und Oda mit einem königlichen Brief nach Rom, um dort von Papst Sergius II die Erlaubnis zu erhalten, ein Stift gründen zu dürfen. Sie bringen die präparierten Körper der Päpste Innocentius und Anastasius (Innocentius rettet die meisten der römischen Kirchenheiligtümer vor der Plünderung durch die Westgoten unter Alerich) als päpstliches Geschenk mit nach Brunshausen, wo das erste Stift im freien Sachsen vorübergehend seine Heimat findet.
Das Stift ist kein Kloster. Die Angehörigen des sächsischen Adels können es auch verlassen, brauchen keine Gelübde abzulegen. Die Frauen sollen im Stift ein gottesfürchtiges Leben lernen – dazu gehören vor allem auch Lesen und Schreiben denn mit dem neuen Gott ist erstmals ein Buch nach Sachsen gekommen, die heilige Schrift.
Da es bei den Naturreligionen keine Notwendigkeit gab, Lesen und Schreiben zu lernen – bis auf die Grundschrift der heiligen Zeichen, der Runen, – ist dies eine ganz wichtige Neuerung. Die Kulturtechniken Lesen und Schreiben halten im freien Sachsen Einzug durch das Stift Gandersheim. So können auch die alten sieben Wissenschaften der Schriftkulturen Roms und Griechenlands wiederbelebt werden, die es natürlich in Sachsen nicht gab, und die durch Liudolf und Oda in Sachsen neues Leben erhalten.
Kulturhistorisch betrachtet ist deshalb das Stift weit mehr als ein Kloster – es entwickelt seine ganze Kraft für das 9. Jahrhundert erst durch den Vergleich Naturreligionen – Christentum und dadurch, dass es eine neue Lebensform für Frauen ist. Es hat zudem auch weltliche Macht. Die Äbtissin von Gandersheim hat später Sitz und Stimme auf dem deutschen Reichstag.
Nur so ist es auch möglich, dass Hrotsvit, Roswitha von Gandersheim, ca. 935 – 980, die erste deutsche Dichterin und die erste christliche des Abendlandes überhaupt, aus dem Stift Gandersheim kommt. Sie hat intimste Kenntnisse des römischen Komödien-schreibers Terenz, dessen pralle Körperlichkeit sie zu christlichen Zwecken umschreibt. Es ist wissenschaftlich nachgewiesen, dass sächsische Kanonissen Terenz lasen.
Roswithas Lehrerin ist übrigens Gerberga, erzogen in St. Emmeran, ein Mitglied der bayrischen Linie der Liudolfinger, Tochter Herzog Heinrichs von Bayern, Schwester seines Sohnes Heinrich, später auch Herzog von Bayern, der häufig Heinrich, der Zänker, genannt wird.
Sein Leichnam liegt unter der Krypta der Gandersheimer Stiftskirche, die 881 an Allerheiligen geweiht wird. „Die Taten Ottos“ und „Die Anfänge des Stiftes Gandersheim“ sind zwei historische Gedichte Roswithas, natürlich in Latein, der Sprache der Kirche und der wenigen Gebildeten.
Das durch die Liudolfinger 852 gegründete Stift bestimmte die Stadtgeschichte fast 1000 Jahre lang und erlebte insbesondere durch Fürstäbtissin Elisabeth Ernestine Antonie von Sachsen-Meiningen – sie residiert von 1713 bis 1766 – noch einmal eine späte Blütezeit im Barock. 1810 wird das Stift aufgelöst. Damit endet ein wesentliche Kapitel der für das entstehende Deutschland bedeutsamen frühen Stadtgeschichte.
Wesentliche Stationen der jüngeren Stadtgeschichte werden anhand der „Zeittafel“ dokumentiert.
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